Statin-Therapie bei Patienten mit Myasthenia gravis
Die Geschäftsstelle der DMG erreichen derzeit vermehrt Anfragen, ob Statine bei Myasthenia gravis eingesetzt werden dürfen.
Zur Wirkstoffklasse der Statine gehören eine Reihe von Medikamente, die standardmäßig seit mehr als 2 Jahrzehnten zur Behandlung von bestimmten Fettstoffwechselstörung (Hypercholesterinämie) und bei kardiovaskulären Erkrankungen zur Prävention von Herzinfarkten und Schlaganfällen eingesetzt werden. Die Empfehlungen für den konsequenten Einsatz der Therapie basieren auf den Daten von großen kontrollierten Studien und Langzeiterfahrungen, die die Wirksamkeit der Statine mit der höchsten Evidenz festgestellt haben. Konsequenterweise werden Statine daher in den Leitlinien zur Behandlung o.g. Erkrankungen empfohlen.
Wie für eine Vielzahl von Medikamenten stellt sich auch bei Statinen die Frage, ob diese Medikamente eine Myasthenia gravis verschlechtern oder auslösen können. Eine aktuelle Meldung der britischen Arzneimittelbehörde, nach der Statine Autoimmunerkrankungen und insbesondere auch die Myasthenia gravis verschlechtern bzw. auslösen können, hat nun zu zusätzlicher Verunsicherung geführt.
Ein Zusammenhang zwischen Statinen und Myasthenia gravis wird schon seit vielen Jahren diskutiert. Grund dafür sind Einzelfallberichte, die einen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Beginn einer Statinbehandlung und dem Auftreten bzw. der Verschlechterung der Myasthenia gravis beschreiben. Auch in unseren Myasthenie-Zentren berichten in sehr seltenen Fällen unsere Patienten von einer solchen Beobachtung. Ein ursächlicher Zusammenhang auf Grund des zeitlichen Zusammenhangs kann zunächst nicht abgeleitet werden, auch wenn dieser plausibel erscheint. Zum einen berichten die meisten Myasthenie-Patienten, die mit Statinen behandelt werden, keine Verschlechterung nach Statin-Einnahme. Zum anderen treten Verschlechterungen der Myasthenie bei den meisten Patienten ohne erkennbaren Grund auf.
Es gibt aber Möglichkeiten, die Fragen zu einem ursächlichen Zusammenhang zwischen der Einnahme eines speziellen Medikaments (hier die Statine) und Myasthenia gravis zu beantworten. Zum einen sind da die großen Zulassungsstudien der Statine mit vielen tausenden Patienten, die kardiovaskuläre Erkrankungen hatten. In diesen Studien ergab sich im Vergleich mit der Placebo-Kontrolle kein Zusammenhang zwischen Statin-Behandlung und Myasthenia gravis. Da die Myasthenie eine seltene Erkrankung ist, waren die Studien trotz des Einschlusses vieler Patienten, zur Beantwortung des o.g. Zusammenhangs aber möglicherweise zu klein. Eine weitere Möglichkeit besteht in der Nutzung von Datenbanken zur Arzneimittelsicherheit. Eine solche große und öffentlich zugängliche Datenbank wird z.B. von der Weltgesundheitsorganisation WHO (World Health Organization pharmacovigilance database) betrieben. In diese Datenbank fließen alle ärztlich berichteten Nebenwirkungen, die im Zusammenhang mit Medikamenten-Einnahmen beobachtet werden, ein. Hier zeigt sich, dass für Atorvastatin, das am häufigsten eingesetzte Statin, im Vergleich mit anderen Medikamenten etwas häufiger eine Verschlechterung der Myasthenie berichtet wird. Das kann aber auch daran liegen, dass vergleichsweise viele Menschen und damit auch Myasthenie-Patienten mit Statinen behandelt werden und damit die Wahrscheinlichkeit für Nebenwirkungsberichte höher ist als bei weniger häufig eingesetzten Medikamenten. Daher kann auch diese Analyse einen sicheren Zusammenhang zwischen Statinen und Myasthenia gravis weder beweisen noch ausschließen.
Was heißt das nun für die klinische Praxis? Wie in den meisten anderen Behandlungssituationen auch, muss eine Risiko-Nutzen-Abwägung im Einzelfall gemacht werden. Grundsätzlich ist das sehr geringe Risiko einer zeitnahen Verschlechterung der Myasthenia gravis gegen das vergleichsweise hohe Risiko einer schweren kardiovaskulären Erkrankung im Langzeitverlauf abzuwägen. Zudem sollte geprüft werden, ob man Statine durch andere Therapieverfahren vermeiden kann, zum Beispiel durch eine diätetische Behandlung, also eine Ernährungsumstellung.
Führt kein Weg an einer medikamentösen Therapie vorbei, sind die Statine Mittel der ersten Wahl für die o.g. Krankheiten. Soweit dies sich aus den vorliegenden Daten ableiten lässt, gibt es keinen Hinweis, dass sich die verschiedenen Vertreter der Statine hinsichtlich eines möglichen Myasthenie-Risikos unterscheiden. Neuere Substanzklassen zur Behandlung von Fettstoffwechselstörungen sind zwar verfügbar, hier liegen aber auch weniger Daten und Erfahrungen vor, so dass eine pauschale Empfehlung für deren Einsatz bei Patienten mit Myasthenia gravis nicht möglich ist.
Daraus leiten sich für die Praxis folgende Empfehlungen ab:
- Zur Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen sollten entsprechend den Leitlinien nach Ausschöpfung nicht medikamentöser Therapiemaßnahmen auch bei Myasthenie-Patienten Statine eingesetzt werden. Hierbei sollte mit niedrigen Dosierungen begonnen werden.
- Die Umstellung einer laufenden Statin-Therapie ist bei Patienten mit Myasthenia gravis nicht notwendig.
- Kommt es jedoch am Anfang einer Statin-Therapie zum Auftreten oder zur Verschlechterung einer Myasthenia gravis, sollten ggf. alternative Behandlungsoptionen eingesetzt werden.
Prof. Dr. Andreas Meisel und Dr. Julia Kaiser (Sprecher*in des Ärztlichen Beirates der DMG)