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Deutsche Myasthenie Gesellschaft e.V.

Myasthenia gravis – was ist das?

Myasthenia gravis ist eine Autoimmunerkrankung, bei der die Reizübertragung vom Nerv zum Muskel gestört ist. Das äußert sich in einer belastungsabhängigen Ermüdbarkeit der Muskulatur. Nach Ruhephasen erholt sich der Muskel wieder.  

Die Ursache ist eine fehlgesteuerte Immunreaktion. Es kommt zur Bildung von Abwehrstoffen (Autoantikörper) gegen die körpereigenen Rezeptoren. Diese Autoantikörper blockieren oder zerstören die Kontaktstellen auf den Muskelfasern und stören so den Nervenimpuls zum Muskel. Dadurch erhält der Muskel weniger Signale. Die Kraft der Bewegung ist vermindert.  

Weil bei der Myasthenie Antikörper unter anderem gegen den körpereigenen Acetylcholinrezeptor gebildet werden, spricht man von einer Autoimmunerkrankung. Die Entstehung ist bis heute unklar.  

Welche Symptome können bei einer Myasthenie auftreten?

Bei mehr als der Hälfte der Patient*innen beginnt die Myasthenie an den Augen (okuläre Myasthenie). Typische Symptome sind anfängliche Sehstörungen, z. B. durch Doppelbilder und eine Müdigkeit der Oberlider, sodass die Augen ungleich weit offen sind. Nur selten bleibt die Schwäche auf eine Muskelgruppe beschränkt. Sie kann die Muskulatur des gesamten Bewegungsapparates, sowie die Sprech-, Kau- und Schluck- und/oder Atemmuskulatur betreffen (generalisierte Myasthenie). Betroffene klagen z. B. über ein Schweregefühl des Kopfes, über Atemnot bei Belastung oder eine zunehmende Schwäche beim Treppensteigen.  

Die Schwäche wird bei körperlicher Anstrengung stärker. Sie kann im Tagesverlauf zunehmen und auch innerhalb von Stunden, Tagen und Wochen unterschiedlich sein. Verlauf und Schweregrad sind bei den Patient*innen individuell sehr unterschiedlich. Die Symptome sind nie kontinuierlich, sodass Betroffene an manchen Tagen kaum Beeinträchtigungen und an anderen wieder starke Einschränkungen verspüren.  

Durch Infektionen, seelische Belastungen, Schlafmangel oder auch durch ungeeignete Zusatzmedikationen verstärkt sich die Symptomatik.  

Beginn und Häufigkeit

Der genaue Beginn und Auslöser der Myasthenie bleiben oft unklar. Menschen jeden Alters und Geschlechts können erkranken. Dabei liegt ein erster Häufigkeitsgipfel zwischen dem 15. und 30. Lebensjahr und ein zweiter zwischen dem 60. und 75. Lebensjahr. Frauen dominieren in der jüngeren Altersgruppe, Männer in der älteren. Selten tritt die Erkrankung bereits im Kindes- und Jugendalter auf.  

Die Myasthenie ist eine seltene Erkrankung. Man schätzt die Häufigkeit auf 100 – 200 pro 1 Mio. Einwohner.  

Myasthenie ist nicht ansteckend. Eine ausgesprochene Erblichkeit besteht nicht, und eine Vererbung ist gering. Sehr selten gibt es eine familiäre Häufung  

Diagnosesicherung
Zur Sicherung der Erkrankung stehen heute dem Arzt oder Neurologen verschiedene klinische und laborchemische Tests zur Verfügung: Anamneseerhebung und einfache Untersuchung:

  • Doppelbilder? Prüfung von Augenmotilität und Lidspaltenweite
  • Kau– und Schluckbeschwerden?
  • Zunahme der Beschwerden im Tagesverlauf durch muskuläre Belastungen?
  • Schwäche proximaler Muskelgruppen Vitalkapazität – Atem- oder Hustenstoß?

Zusatzuntersuchungen:

  • Pharmakologische Testung ( z.B. positiver Edrophoniumchlorid-Test)• Elektrophysiologie: Serienstimulation, in Einzelfällen auch Einzelfaser – EMG
  • Autoantikörper (Anti-ACHR-AK)
  • Antikörper gegen Titin bei Thymomverdacht Antikörper gegen Tyroskinase (Anti– MuSK-AK)
  • Thorax – CT, ggf. thorakales MRT

Verlauf und Heilungsaussichten

Eine generelle Prognose ist nicht möglich, da sich bei jedem Betroffenen die Symptome unterschiedlich stark, an unterschiedlichen Stellen und in unterschiedlichen Verläufen zeigen. Heilbar ist die chronische Erkrankung nicht.  

Unter Ausnutzung aller Behandlungsoptionen ist es das Ziel, Patient*innen ein weitgehend normales Alltagsleben mit nur geringen Einschränkungen zu ermöglichen. Eine 100%ige Kräftigung ist meist nicht zu erreichen und gewisse Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit müssen toleriert werden. Jeder Betroffene muss seine eigene Belastungsgrenze selbst herausfinden und danach leben.  

Die Aufklärung und Mitwirkung der Patient*innen spielt eine wesentliche Rolle bei der meist lebenslangen Behandlung.  

Therapieplanung- und Therapiemöglichkeiten
Durch spezielle Medikamente (z.B. Pyridostigmin ( Mestinon®, Kalymin® ) Wirkung 3-4 Stunden oder Prostigmin, wirkt schneller, aber kürzer) wird der Abbau des Überträgerstoffes Acetylcholin gehemmt und die Nervenimpulse verstärkt.
Näheres (Dosierung und Nebenwirkungen) siehe Leitfaden für Myasthenia gravis Patienten der DMG (zu erhalten über die Deutsche Myasthenie Gesellschaft in Bremen). Bei zu hoher Dosis kann es zu einer so genannten „cholinergen Krise“ kommen, die eine sofortige intensiv-medizinische Behandlung und Überwachung in einer speziell darauf eingerichteten, neurologischen Klinik erfordert.
Eine „myasthene Krise“, die trotz regelmäßiger Einnahme von Medikamenten, z.B. als Folgeeines fieberhaften Infektes, psychischer Belastung oder durch unsachgemäße Einnahme von Medikamenten entsteht, (siehe Leitfaden für Myasthenia gravis Patienten), muss ebenfalls durch eine sofortige Einweisung in ein Myasthenie-Zentrum, eine spezielle Myasthenie–Ambulanz oder Neurologische Klinik behandelt werden.
Eine weitere Therapiemöglichkeit in der frühen Krankheitsphase ist die Thymektomie, d. h. die operative Entfernung der Thymusdrüse. Man weiß heute, dass die Thymusdrüse bei der Entwicklung der Krankheit eine große Rolle spielt.
Der operative Eingriff muss bzw. sollte individuell zwischen dem behandelnden Neurologen, dem Thoraxchirurgen und dem Patienten als Therapieverfahren besprochen werden. Zudem sollte über die verschiedenen Therapieverfahren (transthorakal/ minimalinvasiv) informiert werden.
Die medikamentöse Therapie der Myasthenia gravis basiert primär auf:

  • Cholinesterasehemmern (Pyridostigmin)
  • Kortison
  • Immunsuppressiva – Azathioprin (Langzeittherapie) oftmals auch in Kombination mit Kortison

Häufig müssen die erwähnten therapeutischen Möglichkeiten nacheinander ausgetestet werden und eventuell auch miteinander kombiniert werden, um ein Optimum an therapeutischem Effekt zu erreichen.

Fazit
Die Therapieform sollte individuell auf den Betroffenen abgestimmt werden, um die Lebensqualität und auch die Berufsfähigkeit wieder herzustellen, bzw. langzeitig zu erhalten.
Jeder Betroffene hat seine „eigene, individuelle Myasthenie“, dies muss bei der Therapieplanung stets berücksichtigt und beachtet werden. Danach sollte sich die medizinische Therapie ausrichten. Eine enge, vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Arzt und Patient spielt hierbei eine große Rolle und ist wünschenswert.

Literatur: Leitfaden für Myasthenia gravis und das Lambert-Eaton-Syndrom Nr. 13. Deutsche Myasthenie Gesellschaft e.V.

Hilfestellung im Alltag 

Auch wenn Hausmittel und Tricks im Umgang mit der Myasthenie nicht zur ursächlichen Behandlung ausreichen, können sie im Alltag eine wichtige Hilfestellung sein.  

Eine kleine Auswahl für verschiedene Alltagssituationen: 

Anspannung
Angespannte Situationen können die myasthene Symptomatik vorübergehend negativ beeinflussen.
Versuche zur Ruhe zu kommen, dann bessert sich der Zustand meist nach wenigen Augenblicken. 

 Atemschwäche
Versuche ruhig zu bleiben und dich nicht von der ängstlichen Umwelt anstecken zu lassen.
Atme ruhig und langsam!
Im Sitzen oder mit erhöht gelagertem Kopf atmet es sich leichter. Im Sitzen empfiehlt sich zudem der „Kutschersitz“. Dabei stützt man die Arme auf die Oberschenkel und sitzt so leicht nach vorne gebeugt.

Doppelbilder
Bei Doppelbildern hilft das Zukneifen eines Auges. Bei schweren Doppelbildern hilft eine Augenklappe vor einem Auge (immer wechselseitig tragen).
Auch eine Prismenfolie kann helfen und kann von deinem Augenarzt verordnet werden.

Schluckstörungen
Es kann hilfreich sein, Wassereis oder aus Fruchtsaft hergestellte Eiswürfel im Gefrierfach zu haben. Die Kälte kann die Muskulatur im Schlundbereich günstig beeinflussen.
Bei Schluckstörungen kann es außerdem helfen, Soßen oder Reis zu binden. Bei Soßen ist das mit Stärke leicht möglich, Reis kann nach dem Kochen durch z.B. Schmelzkäse gebunden werden.
Beim Trinken kann ein Strohhalm Erleichterung verschaffen.
Vor allem ist Ruhe vor und während dem Essen wichtig.

Temperaturempfindlichkeit
Vermeide Temperatur-Extreme.
Kurz duschen ist besser als ein heißes Bad.
Oft ist Kälte angenehmer als Wärme.
Ein Coolpack auf der Stirn kann auch bei hängenden Augenlidern eine Erleichterung bewirken.  

Informationen und weitere nützliche Tipps findet ihr auch in unserem Flyer ‚Tipps und Tricks – von Patienten für Patienten‘, den ihr hier bestellen könnt.

Urlaubsreisen mit myasthenen Syndromen

Urlaub heißt für viele:

  • mal etwas anderes sehen,
  • den Alltag vergessen,
  • sich erholen,
  • Zeit für sich und füreinander zu haben.

Patient*innen mit myasthenen Syndromen möchten und können, trotz ihrer Erkrankung, in den Urlaub fahren. Auch Fernreisen sind grundsätzlich möglich, wenn es der Gesundheitszustand und die persönliche Einschätzung zulassen.

Im Vorfeld bedarf es einiger Organisation und eventuell auch, je nach Schweregrad und Behandlung, eine individuelle Abstimmung mit der behandelnden Ärztin / dem behandelnden Arzt. Je besser Sie sich vorbereiten, umso sicherer und entspannter können Sie Ihren Urlaub genießen.

Beachten Sie bei der Planung ihre Therapieintervalle von regelmäßigen Infusionen (z. B. IVIG, Eculizumab, Efartigimod, Rituximab, etc.) und, dass diese eventuell vor Ort verabreicht werden müssen. Benötigen Sie Kühlpacks für subkutane Infusionen, etc.?

Nehmen Sie immer mehr Medikamente mit, als Sie für die gesamte Reisezeit brauchen würden, um so einen Vorrat zu haben.

Stellen Sie sicher, dass die medizinische Versorgung und neurologische Betreuung im Notfall vor Ort gewährleistet werden können. Führen Sie ihren Notfallausweis (deutsch, englisch) und einen Medikationsplan (deutsch, englisch, evtl. in der Landessprache) mit sich, damit Sie den bei Notwendigkeit vorlegen können. Eine Hilfestellung in verschiedenen Sprachen finden Sie auch unter orpha.net

Für viele ist der „Blaue Leitfaden“ ein wichtiges, unersetzliches Dokument geworden. Einige von Ihnen tragen sicherlich auch die SOS-Notfallkette, -kapsel oder das SOS-Armband. Für mögliche Rückfragen sollten Sie auch die Telefonnummer (mit Vorwahl) und Kontaktdaten ihrer Ärztin/ ihres Arztes dabeihaben.

Klären Sie ab, ob eine abgeschlossene Auslandskrankenversicherung die Kosten im Falle einer notwendigen Behandlung und/oder eines möglichen Rücktransports aus medizinischen Gründen übernimmt.

Je nach Reiseziel kann das Klima viel wärmer oder wesentlich kälter sein. Vermeiden Sie Temperaturextreme. Patientinnen und Patienten mit myasthenen Syndromen vertragen Hitze meist schlechter. Immunsupprimierte dürfen nicht alle Schutzimpfungen bekommen (Lebendimpfstoffe, z. B. Gelbfieber). Denken Sie aber auch daran, dass die Standardimpfungen bzw. die entsprechenden Auffrischungen aktuell sind. Besprechen Sie das mit Ihrer Ärztin / Ihrem Arzt.

https://www.rki.de/DE/Content/Kommissionen/Bundesgesundheitsblatt/Downloads/2020_01_Kling.pdf?__blob=publicationFile

Eine lange Anreise ist beschwerlich und kann die myasthenen Symptomatik verstärken. Planen Sie bei Fahrten mit dem Auto ausreichend Pausen ein oder genießen Sie es, Beifahrer*in zu sein. Auf Rastplätzen an Autobahnen sind in der Regel sowohl Parkplätze als auch Toiletten für Reisende mit Behinderung vorhanden. Meist ist für den Zugang zu den Toiletten sowie die öffentlichen Toiletten mit ein Euro-Schlüssel notwendig. https://www.cbf-da.de/euroschluessel.html

Bei Zugreisen steht Ihnen die Mobilitätszentrale der DB für barrierefreies Reisen zur Verfügung. Sie organisiert Hilfeleistung beim Ein-, Um- und Aussteigen.

Schwerbehinderte Personen (auch Kinder), die eine Wertmarke besitzen, können im Nahverkehr kostenfrei fahren. Mit einem Grad der Behinderung von mindestens 70 (GdB 70) können Sie eine ermäßigte BahnCard 25/50 erwerben.

Mit Merkzeichen B dürfen Sie im Fernverkehr bis zu 2 Sitzplätze kostenfrei reservieren, auch wenn sie kein gültiges Beiblatt mit Wertmarke besitzen. Hilfsmittel (z.B. Rollstuhl, Rollator, Gehhilfe) werden kostenlos befördert.

Flughäfen und Fluggesellschafen bieten eine Reihe von kostenlosen
Servicediensten. Der Bedarf soll spätestens 48 Stunden vor dem Flug angemeldet werden. Rollstühle für die Wege durch das Terminal werden bereitgestellt. Auch können Sie u. A. Hilfe beim Einchecken oder Einsteigen ins Flugzeug anfordern.

https://www.drv.de/public/Downloads_2021/21-08-12_Barrierefreies_Reisen_mit_dem_Flugzeug_2._Auflage_-_DE.pdf

Mit ärztlichem Attest dürfen Sie Spritzen im Handgepäck mitnehmen.

Im Falle eines einem möglichen Gepäckverlust, haben Sie immer ausreichend oder alle Medikamente im Handgepäck.

Die Aktivitäten am Urlaubsziel sollten immer an ihre aktuelle Konstitution angepasst sein. Beachten Sie von vorneherein, dass einige Unternehmungen (Wanderungen, Sightseeing) nur bedingt möglich sind und ihre Kräfte schnell schwinden können. Sie selbst kennen sich und Ihre Ressourcen am besten und wissen auch, dass jeder Tag anders sein kann. Reden Sie vorher darüber, damit es nicht frustrierend für Sie und Ihre Begleitung wird.

In zahlreichen Einrichtungen wie z. B. Museen, Theater, Sehenswürdigkeiten, Stadtführungen oder Parks erhalten Menschen Schwerbehindertenausweis und/oder ihre Begleitpersonen freien oder ermäßigten Eintritt.

Auf verschiedenen Webseiten finden Sie Informationen zu Reisen, auch geprüft und zertifiziert, passend für die unterschiedliche Bedarfe.

https://www.reisen-fuer-alle.de/

Allen, die in diesem Sommer oder im Verlauf des Jahres noch Urlaub haben, wünschen wir eine wunderschöne Zeit, um die Akkus wieder aufzuladen.

Lassen Sie es sich auch mit myasthenen Syndromen gut gehen.