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Deutsche Myasthenie Gesellschaft e.V.

Urologie und Myasthenie

Gemeinsames Online-Meeting der Regionalgruppen Düsseldorf und Paderborn am 26.09.2023 zum Thema “Urologie und Myasthenie”

Schon als der Umfragebogen der Deutschen Myasthenie Gesellschaft „Blasenstörungen bei myasthenen Syndromen“ die Regionalgruppen Düsseldorf und Paderborn erreichte und dort Thema war, kamen viele Fragen zum Bereich Urologie und ihrem Zusammenhang zur Myasthenie in den Gruppen auf. Die RG Düsseldorf hatte die Idee und die RG Paderborn den geeigneten Referenten, so dass beide Gruppen am 26.September 2023 einen gemeinsamen Abend online verbracht haben. Als Referent stand uns Dr. med. Markus Mohr zur Verfügung, der als Facharzt für Urologie in einer Praxisklinik in Düsseldorf praktiziert. Wir konnten ihm zur Vorbereitung des Abends einen Fragenkatalog schicken, was auch dazu diente, so manche intime Frage anonym halten zu können.

Wir geben hiermit Informationen, die wir an diesem Abend erhalten haben, wie folgt an Sie/euch weiter:

Verhältnis Myasthenie und Blasenstörungen

Die auf Myasthenie zurückzuführenden Blasenstörungen finden ihren Grund zum einen in der Muskelschwäche der quergestreiften Muskulatur der Betroffenen, aber auch in der Medikation, die zur Behandlung der Erkrankung zu nehmen ist. Dr. Mohr berichtete, dass er in seiner 30-jährigen Praxistätigkeit erst 4 Myasthenie-Patienten in urologischer Behandlung gehabt hat. Aus der Erfahrung der Behandlung von erheblich mehr MS Patienten konnte er jedoch entsprechende medizinische Erläuterungen geben:

– Mestinon und Kalymin, die den Wirkstoff Pyridostigmin enthalten, sind dafür bekannt, dass sie einen verstärkten Harndrang verursachen.

– Die über viele Jahre sich erstreckende Einnahme von Azathioprin oder von MTX (Methotrexat) kann zu Blasenstörungen und Harninfekten führen und birgt außerdem die Gefahr, eine Neoplasie (eine gut- oder bösartige Neubildung von Körpergewebe durch eine Fehlregulation des Zellwachstums) zu entwickeln.

– Mycophenolat-Mofetil, das ebenfalls zur Immunsuppression eingesetzt wird, ist dafür bekannt, dass es eine sog. Stressblase verursachen kann, die durch die Verengung des Blasenhalses einen verstärkten Harndrang bewirkt und zudem zu häufig auftretenden Harninfekten führen kann.

– Nach der Verabreichung von Rituximab konnte kein gesteigertes Risiko für eine Blasenstörung festgestellt werden, wohl aber klagen die Patienten über einen erhöhten Harndrang und es treten häufiger Harninfekte auf.

Verlauf einer urologischen Untersuchung

Zu Beginn der urologischen Untersuchung wird ein ausführliches Gespräch zwischen dem behandelnden Urologen und dem Patienten geführt. Der Patient schildert seine Beschwerden, und der Urologe passt den weiteren Untersuchungsverlauf diesen Schilderungen an. Zumeist folgt darauf die Untersuchung der Urinprobe. Im Rahmen einer Urinzytologie werden die zellulären Bestandteile der Urinproben (die Urothelzellen) untersucht. Auf diese Weise lassen sich bösartige Tumorzellen feststellen. Mit einem weiteren Test kann auf das Vorliegen von Tumoreiweiß im Urin geprüft werden (UBC oder NMP-Test). Die Ultraschalluntersuchungen geben Aufschluss über die Funktion der Nieren, Blase und Prostata und die Menge an Restharn, die nach dem Wasserlassen in der Blase verbleibt. Mittels der Spiegelung der Harnröhre und Blase können Blasentumore, die Schließmuskelfunktion und die Weite der Harnröhre festgestellt werden. Zudem kann überprüft werden, inwieweit es Hindernisse in der Harnröhre gibt, die den Harnabfluss erschweren.

Ziel der Untersuchung ist die Ursachenklärung zur Anpassung einer entsprechenden anschließenden Therapie, um auf diese Weise zur Linderung oder Beseitigung der Beschwerden beitragen zu können. Oft können mehrere Ursachen zu einer urologischen Störung wie der Inkontinenz führen. Eine altersbedingte Schwäche der Muskulatur sowie ein Bandscheibenvorfall im Lendenwirbelbereich können ebenso die Blasentätigkeit einschränken.

Sofern festgestellt wird, dass die urologische Störung überwiegend auf eine Störung der Nervenschaltung zurückzuführen ist, erfolgt die weitere Diagnostik und Weiterbehandlung des Patienten in der Klinik Maria Hilf in Mönchengladbach, bei der es sich um eine Klinik der Neuro-Urologie handelt.

Urologische Probleme bei Frauen und Männern

Die urologischen Probleme haben nicht zuletzt auch geschlechtsspezifische Ursachen:

– Bei Frauen führt Östrogenmangel zu vermehrten Harnwegsinfekten und Verengung der Harnröhre mit Restharnbildung und somit zum erhöhten Harndrang. Eine Überprüfung sollten Frauen auch bei ihrem Gynäkologen ansprechen.

Es ist außerdem zu berücksichtigen, dass es mit zunehmendem Alter oder nach der Geburt von Kindern bei Frauen zu einer Blasensenkung kommen kann.

Die Kombination aus Azathioprin und Pille kann das Krebsrisiko erhöhen. (Überraschende Information: Das Färben von Haaren – insbesondere mit der Farbe Rot – kann ebenfalls dazu beitragen – sofern es sich vorwiegend um chemische Produkte handelt, ausgenommen sind Naturprodukte).

– Kommt bei Männern neben der Erkrankung an Myasthenie eine Vergrößerung der Prostata hinzu, wird verstärkt Druck auf die Blase ausgeübt, wodurch ein erhöhter Harndrang ausgelöst wird.

Bei Myasthenie-Betroffenen, die Azathioprin einnehmen, kann ein Medikament verabreicht werden, das die Prostata schrumpfen lässt (z.B. Duodart, das Tamsulosin und Dutasterid enthält). Dabei ist jedoch stets der PSA-Wert im Blick zu halten. (Hierbei wurde darauf hingewiesen, dass der PSA-Wert kein reiner Tumormarker ist, aber hilfreich in der Detektion von Prostatakarzinomen sein kann). Rauchen erhöht das Risiko zur Erkrankung an Blasenkrebs. Der Prostatakrebs ist die häufigste bösartige Krebserkrankung des Mannes!

Ein dunkles Ejakulat ist immer abklärungsbedürftig:

Bei Männern im Alter über 35 ist es dringend zu untersuchen, da Blut zur Eintrübung beigetragen haben könnte und das Vorhandensein eines Karzinoms vermuten lässt. Bei Männern unter 35 Jahren könnte es sich eher um einen Infekt handeln.

– Bei beiden Geschlechtern führt Stress zur Verengung des Blasenhalses. Harnfördernde Medikamente können in dieser Situation den Harndrang weiter erhöhen und zur Verstärkung der Inkontinenz beitragen.

Medikamente und Therapie

– Betmiga ist ein klassisches Mittel, das den Harnfluss bremst. Es sollte aber nur verabreicht werden, wenn vorher abgeklärt ist, dass keine Verengung der Harnröhre besteht. Es besteht sonst die Gefahr der Entstehung einer Überlaufblase, die zur Schädigung der Nieren führen kann.

– Duodart macht im Gegensatz zu Betmiga den Blasenweg „frei“ und dient bei Männern der Verkleinerung der Prostata. Dieses Mittel wird insbesondere bei Dranginkontinenz bei erhöhten Restharnmengen verabreicht, wenn nicht genug Kraft besteht, Urin zu lassen.

– Canephron ist ein traditionelles pflanzliches Mittel, das bei Beschwerden wie häufigem Wasserlassen, Brennen beim Wasserlassen eingesetzt wird.

– Mannose ist ein natürlicher Zucker, der bei Harnwegsinfekten eingesetzt wird. Eine Verabreichung zusammen mit Canephron ist besonders effektiv gegen Harnwegsinfektionen, zumal eine vorschnelle Verabreichung von Antibiotika vermieden werden kann.

– StroVac ist ein bakterieller Impfstoff. Die Keime sind inaktiviert (abgetötet) und kann somit auch Myasthenie-Betroffenen verabreicht werden. Die Impfung wird zur Vorbeugung und Behandlung von wiederkehrenden Harnwegsinfektionen bakterieller Herkunft angewendet. Auch hiermit kann eine Verabreichung von Antibiotika umgangen werden.

– Stimmt es, dass Kaffee die Blase positiv zum Wasser lassen anregt?

Ja, Kaffee verursacht anfänglich eine vermehrte Harnausscheidung und kann eine Verengung des Blasenhalses bewirken, wodurch es zum erhöhten Harndrang kommt.

– Stimmt es, dass Bier die Blase gut durchspült?

Bier hat zwar einen Spüleffekt, dient aber keiner Therapie bei Blasenstörungen.

– Trinkverhalten:

Es wird empfohlen, täglich 2 Liter Flüssigkeit zu sich zu nehmen. Nach Möglichkeit sollte die Menge über den Tag verteilt werden. Zur Verträglichkeit wird geraten, 1 Glas pro Stunde zu trinken. Um nachts die Anzahl der Toilettengänge zu reduzieren oder zu vermeiden, sollte am Abend nicht so viel getrunken werden und entwässernde Tabletten nicht eingenommen werden.

– Beckenbodengymnastik:

Es gibt gymnastische Übungen zum Trainieren der Beckenbodenmuskulatur. Sie dienen der Stärkung des Schließmuskels. Sie werden unter anderem auch vor einer Prostata OP empfohlen, um einer Inkontinenz vorzubeugen. Hierbei gilt es gerade für Myasthenie-Betroffene, für sich herauszufinden, welches Maß an Übungen tatsächlich der Stärkung der Muskulatur dient, da eine Überbeanspruchung zum Gegenteil, nämlich der Schwächung der Muskeln, führen kann. Der Referent empfahl hierfür, täglich 2 bis 3 Minuten aufzuwenden und es wie das Zähneputzen in seinen Alltag aufzunehmen. Auf diese Weise könne ein spürbarer Erfolg über einen kurzen Zeitraum erreicht werden.

Die Länge dieses Rückblicks über dieses Online-Meeting gibt wieder, welch eine Fülle an Fragen und Informationen zu dem Thema an diesem Abend ausgetauscht worden ist. Wir bedanken uns für diese reichhaltigen Informationen und die Zeit, die weit über den zuvor abgestimmten Rahmen hinausging, bei dem Referenten Dr. Markus Mohr.

Sofern es dem einen oder anderen zur Klärung seiner Fragen zur Inkontinenz gedient hat oder angeregt hat, Probleme mit Inkontinenz durch eine urologische Untersuchung anzugehen, hat dieser Abend gezeigt, wie wichtig es ist, sich zu informieren, um zu einer Verbesserung unserer Lebensqualität mit unserer Erkrankung beitragen zu können.

Heide Mohr, Ansprechpartnerin für die RG Paderborn

Dr. med. Markus Mohr