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Deutsche Myasthenie Gesellschaft e.V.

Ergebnisse der Umfrage über Blasenstörungen bei myasthenen Syndromen

Julia Augustin, Ärztin in Weiterbildung und ehrenamtlich als Patientin
Dr. Dr. Miriam Fichtner, ehrenamtliche Unterstützung
mit Unterstützung der Deutschen Myasthenie Gesellschaft (DMG) e.V.

Nach Lesen von Erfahrungsberichten und Recherche nach bisherigen Studieniiiiiiv i begannen wir eine Umfrage mit folgenden Ziellen: Anhalt für die Häufigkeit von Blasensymptomen, Symptommuster, die Versorgungssituation und Auswirkungen auf die Lebensqualität bei myasthenen Syndromen (Myasthenia gravis, LEMS, angeborene myasthene Syndrome (CMS)) nach Geschlecht und Art des myasthenen Syndroms zu ermitteln.
Eine Vollversion dieses Artikels mit allen Abbildungen und Quellennachweis sowie Interessenkonflikten der Autor:innen finden Sie hier: Ergebnisse der Umfrage über Blasenstörungen bei myasthenen Syndromen

Methodik
So entwickelten wir einen Fragebogen (2 A4-Seiten, 15 Fragen). Dieser wurde im August 2023 an die Mitglieder der DMG e.V. über die Zeitschrift DMG aktuell, die Regionalgruppen und die integrierten Myasthenie-
Spezialzentren versandt (Einsendeschluss 12/2023).

 

 

 

 

 

Abbildung 1: Flussdiagramm zu ein- und ausgeschlossenenTeilnehmenden
Legende: MG Myasthenia gravis, LEMS Lambert-Eaton-Myasthenie-Syndrom, CMS kongenitale myasthene Syndrome

Ergebnisse
Von 162 Teilnehmenden blieben 122, meist Betroffene von Myasthenia gravis (115), vor allem weiblichen Geschlechts (83) (Abb. 1) im Alter zwischen 18 bis über 65 Jahren (Modus 56-65) mit Erkrankungszeit zwischen unter 1 Jahr bis über 30 Jahren (Modus 6-10Jahre) und meist unbekanntem Stadium des Schweregrades nach MGFA.

Symptommuster

 

 

 

 

Abbildung 2: Verteilung von Blasensymptomen einzeln oder in Kombination auftretend nach Untergruppen

Blasensymptome traten meist in Kombination aus mindestens zwei Symptomen auf.
Insgesamt am häufigsten waren bei Männern mit Myasthenia gravis Harndrang, häufiges Wasserlassen und nächtliches Wasserlassen.
Bei Frauen mit Myasthenia gravis stand an erster Stelle das nächtliche Wasserlassen (über 72%), gefolgt von Harndrang, häufigem Wasserlassen und der Inkontinenz (Verlust der Fähigkeit, den Urin zu halten) (Abb 2). Bei LEMS wurden häufiger neben der Inkontinenz Probleme beim Entleeren der Blase angegeben.
Blasensymptome traten meist täglich auf. Sie begannen meist mit Anfang der myasthenenErkrankung oder aber ebenfalls recht häufig nach über 5 Jahren Erkrankungszeit.

Versorgungssituation
Die Urologie (Fachabteilung für Blasenstörungen) und Hausärzt:innen waren noch häufigste Untersuchende, am seltensten die Myastheniezentren.
Dabei gab die Mehrheit an, selbstständig Blasenbeschwerden beim ärztlichen Besuch anzusprechen (73,53%).
Neben hauptsächlich keiner Diagnose wurde am häufigsten bei Frauen mit Myasthenia gravis eine unspezifische Inkontinenz festgestellt. Ansonsten wurden neurogene Blasenstörungen (Blasenstörungen mit Ursprung im Nervensystem, hier meist als überaktive Blase) genannt bzw. Beschwerden auf die Muskelerkrankung selbst oder seltener auf das Pyridostigmin (Kalymin/Mestinon) zurückgeführt.
Männer mit Myasthenia gravis und die Frauen mit LEMS erhielten mehrheitlich keine Therapie. Bei Frauen mit Myasthenia gravis erfolgte zumeist eine Versorgung mit Inkontinenzmaterial (30,12%) oder Beckenbodentraining (21,69%) als Therapiebestandteil.
Daneben wurden seltener medikamentöse Anwendungen, Lebensstilanpassungen oder operative und mechanische Verfahren genannt.

Auswirkungen auf die Lebensqualität
Die Mehrheit in allen Untergruppen fühlte sich min. mittelgradig im Alltag eingeschränkt (Punktwert von min. 5) und gab zumindest selten Auswirkungen auf die Sexualität und allgemeines Belastungserleben an.

Diskussion
Blasenbeschwerden treten bei Betroffenen mit myasthenen Syndromen auf.
Allerdings lässt sich aus der Umfrage nicht ableiten, ob sie durch myasthene Syndrome zustande kommen, wie häufig sie sind oder ein Vergleich zwischen den Untergruppen wegen der unterschiedlichen Gruppenstärke und fehlender Kontrollgruppe durchführen.
Die Umfrage liefert allerdings einige wichtige Hinweise:
So scheinen mehrere Ursachen für die Blasensymptome möglich zu sein.
Dazu gehört einerseits die Muskelerkrankung selbst mit dem Beckenboden als Teil der Willkürmuskulatur. Jedoch werden sie auch als Nebenwirkung von Pyridostigmin (Mestinon/
Kalymin) diskutiert.vvivii
Blasensymptome sind in der allgemeinen Bevölkerung tabuisiert, aber häufig.viiiixx
Möglicherweise bestehen Unterschiede zwischen den Geschlechtern.
Erstaunlicherweise erhielt fast die Hälfte keine Therapie. Dabei haben wir nicht erfragt, ob diese hilfreich war.
Die unzureichende Versorgung erklärt möglicherweise die mehrheitlich benannten Auswirkungen auf die Lebensqualität. Dabei ist allgemein bekannt, dass sich Blasensymptome auf die Lebensqualität auswirken.xixiixiiixivxvxvi
Die große Teilnehmendenzahl und auch die Teilnahme von fünf Betroffenen LEMS lassen auf eine mögliche verzerrte Darstellung durch die Motivation, etwas an der Versorgung zu
verändern (sogenannter Reporting Bias) schließen.
Generell ist dringend wissenschaftlich fundierte Forschung erforderlich, um den aufgeworfenen Fragen nach der Häufigkeit und den Ursachen von Blasensymptomen bei
den Betroffenen myasthener Syndrome auf den Grund zu gehen, zugleich aber vor allem die Versorgungssituation und damit die Lebensqualität von uns Betroffenen zu verbessern.

Interessenkonflikte
Julia Augustin: keine Honorarleistungen, ist zugleich Betroffene und Mitglied der DMG e.V.
(ideeller Interessenkonflikt), Mitglied im Vorstand des Allgemeinen Behindertenverbandes in
Deutschland ABiD e.V. bis April 2024 und weiterhin ehrenamtlich beratend für den
Gesundheitsbereich beim AbiD e.V.

Dr. Dr. Miriam Fichtner: ehrenamtlich für die DMG e.V., Honorare für Vortragstätigkeit bei
Alexion und der Alexion Akademie

Wir danken der DMG e.V. für die Unterstützung und allen Teilnehmenden an der Umfrage.

iEditorial Team Health Union. Bladder Problems and Myasthenia Gravis. (Zugriff Juli 2023:
https://myasthenia-gravis.com/clinical/bladder-problems )
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vAkan O et al. The impact of myasthenia gravis on lower urinary tract functions. Int J Clin
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viiTateno F, Sakakibara R, Aiba Y. Lower Urinary Tract Symptoms in Myasthenia Gravis.
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viiiGoepel M et al. Harninkontinenz im Alter. Dtsch Arztebl 2002; 99(40): A-2614 / B-2230 /
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